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„Mehr Erneuerbare im Energiemix werden den Strompreis mittelfristig senken“

Weltweit stellen sich Unternehmen vermehrt auf eine Zukunft ohne fossile Energien ein. Der Druck zum Umstieg auf Erneuerbare ist mit Blick auf den Klimawandel enorm gewachsen. Deutschland will zudem unabhängiger von Öl- und Gasimporten aus Russland werden. Selbst die Öl- und Gasindustrie stellt ihr Geschäft verstärkt auf Wind- und Solarenergie um. Gleichzeitig kurbeln stark steigende Rohstoffpreise Investitionen in Erneuerbare an. Die Hamburger reconcept-Gruppe setzt als Asset Manager und Projektentwickler im Bereich der Erneuerbaren Energien bereits seit 24 Jahren auf Nachhaltigkeit. Über Green Bonds und Beteiligungen können private wie institutionelle Investoren an der erfolgreichen Unternehmensentwicklung des Energieexperten partizipieren. Wir sprachen erneut mit reconcept-Geschäftsführer Karsten Reetz über aktuelle Marktbedingungen, die operative Entwicklung sowie neue Chancen für Investoren.

BondGuide: Herr Reetz, lassen Sie uns zum Auftakt mit einem Thema starten, das wir alle derzeit als Verbraucher stark spüren: die hohen und weiter steigenden Energiepreise. Benzin und Strom werden teurer und teurer. Welche Rolle spielen die Erneuerbaren Energien vor diesem Hintergrund?
Reetz: An den Spotmärkten für Öl und Gas schossen die Preise in die Höhe, weil russische Anbieter diesen Markt aus politischen Gründen nicht mehr hinreichend bedienen. Zugleich hat der russische Gasriese Gazprom Lager abgebaut, was den Preisdruck zusätzlich verstärkt. Letztlich macht die von Herrn Putin befeuerte Krise auf den Energiemärkten eines drastisch deutlich: Nur der Ausbau der Erneuerbaren Energien und mehr Energieeffizienz können mittelfristig den Preis- und Kostendruck merklich verringern und gleichzeitig unsere Energieversorgung in Deutschland unabhängiger von Importen und von klimaschädlichen fossilen Ressourcen machen.

BondGuide: Wir Bürger haben doch aber schon vor dem Russland-Ukraine-Krieg für unseren Strom recht tief in Tasche greifen müssen. Das wurde also nicht durch die Energiewende und die staatliche Förderung der Erneuerbaren verursacht?
Reetz: Nein, das ist tatsächlich differenzierter zu betrachten. Richtig ist zwar, dass mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz und der Einführung von garantierten EEG-Tarifen auch die Strompreise staatlich verordnet stiegen. Doch nicht alle Umlage-Millionen flossen in die direkte Förderung von Erneuerbaren Energien.

BondGuide: … sondern?
Reetz: Deutschland hat eines der zuverlässigsten Netze der Welt. Diese Stabilität ist auch mit höheren Kosten für bestehende Infrastruktur, Anlagen und Gebäude verbunden. Die Strompreise wären also auch ohne Energiewende gestiegen. Mehr Erneuerbare in unserem Energiemix werden den Strompreis jedoch mittelfristig senken – das belegen diverse wissenschaftliche Studien1. Denn die Stromgestehungskosten für neue Wind- und Solaranlagen sind deutlich günstiger als Strom aus neu errichteten fossilen Anlagen, u.a. durch die CO2-Bepreisung insbesondere für Großhandelsstrompreise. Das Fraunhofer Institut prognostiziert, dass die Stromgestehungskosten noch weiter sinken werden und konventionelle Bestandsanlagen durch die niedrigeren Kosten der Erneuerbaren mittelfristig nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben sein werden.2 Richtig ist zudem, dass mit dem EEG überhaupt erst die Grundlage für eine klimafreundliche Energieversorgung in Deutschland geschaffen wurde. Dass Deutschland heute im Bereich der Windenergie bei der installierten Leistung europaweit führend ist, haben wir dem EEG zu verdanken.

BondGuide: Voraussichtlich ab Sommer wird die EEG-Umlage im Strompreis entfallen, so ein Beschluss der Ampel-Regierung. Was heißt das für Ihre Investoren und für Ihre Projekte?
Reetz: Die Regierung hat damit auf die massiv gestiegenen Energiepreise reagiert und will die Verbraucher entlasten. Ob das funktioniert, wird sich zeigen, denn letztendlich werden die Preise an der Strombörse bestimmt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) empfiehlt zum Beispiel, Haushalte durch eine vollständige Pro-Kopf-Rückerstattung der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung zu entlasten. Für unsere laufenden Investments gilt indes weiterhin die 20-Jahres-Garantie für EEG-Tarife ab Inbetriebnahme. Auch unsere aktuell in der Platzierung befindliche 4,25%-Projektanleihe „reconcept Green Energy Asset Bond II“ profitiert noch vom EEG. Da der darüber finanzierte Windpark Hilpensberg bereits seit 2017 in Betrieb ist, können wir noch für 15 Jahre mit weiteren EEG-Tarifeinnahmen planen. Zusätzlich hat unser Investmentmanagement einen Direktvermarktungsvertrag gesichert, der uns die aktuell hohen Strompreise bis 2025 sichert.

BondGuide: Bei zukünftig neu aufgelegten Investments müssen Ihre Anleger dann wohl auf die garantierten EEG-Einnahmen verzichten. Wie wollen Sie sie dennoch von Ihrem Investmentangebot überzeugen?
Reetz: Tatsächlich wird das eben angesprochene Investmentangebot wohl eines der letzten dieser Art sein. Für unsere zukünftigen neuen EE-Projekte setzen wir auf Power Purchase Agreements (PPA). Diese förderungsfreien langfristigen Stromabnahmeverträge sind international bereits etabliert und setzen sich auch in Deutschland zunehmend durch, da sie für Käufer wie Verkäufer eine Win-Win-Situation darstellen. Beide Seiten profitieren von einer hohen, langjährigen Planungssicherheit sowie von der Unabhängigkeit vom volatilen Strommarktpreis, weil die Abnahme des erzeugten Wind- oder Solarstroms über mehrere Jahre zu einem Festpreis garantiert ist.

BondGuide: Eine weitere politische Entscheidung fiel im Februar auf EU-Ebene: die Taxonomie-Verordnung. Danach werden auch Investitionen in neue Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Auflagen als klimafreundlich eingestuft. Das provozierte Fragen und Kritik. Was sagt reconcept dazu?
Reetz: Wir halten das für Etikettenschwindel. Die Taxonomie hat die Aufgabe, Markt und Investoren Orientierung im Dschungel der grünen Investmentangebote zu geben. Sie definiert, was als nachhaltig gilt und was nicht. Weder Atomkraft noch Erdgas sind nachhaltig – das steht außer Frage. Beide Energiequellen dürften kein grünes Label bekommen. Insbesondere Atomkraft ist aus unserer Sicht nicht mit Sustainable Finance verein- und finanzierbar.

BondGuide: Herr Reetz, vielen Dank für Ihre Zeit und die interessanten Einblicke.

Das Interview führte Michael Fuchs, stellv. Chefredakteur BondGuide

Das Interview erschien am 13. April 2022 in der BondGuide Jahresausgabe „Green & Sustainable Finance 2022

1) Kurzstudie der Energy Watch Group (EWG); Analyse von Aurora Energy Research
2) pv-magazine.de: EWG: Kosten für erneuerbare Vollversorgung sinken bis 2025 auf 9 Cent pro Kilowattstunde im Schnitt, 27.10.2021

reconcept-Geschäftsführer Karsten Reetz

Strompreise sinken durch Erneuerbare Energien

Grafik: Operative Kosten konventioneller Anlagen gegenüber Vollkosten erneuerbarer Energiesysteme

Im Ergebnis werden die Systemkosten der Vollversorgung mit Erneuerbaren Energien bei den aktuellen Inputkosten bereits 2025 unter den Gestehungskosten von Steinkohle- und Atomkraftwerken liegen.

 

Quelle: Kurzstudie der Energy Watch Group (EWG), Oktober 2021

Kurzstudie der Energy Watch Group (EWG), Oktober 2021

Über Karsten Reetz

Karsten Reetz ist Geschäftsführer und zudem Gesellschafter der reconcept GmbH. Der gelernte Bankkaufmann baute das Unternehmen kontinuierlich aus und verantwortete die erfolgreiche Etablierung der reconcept-Gruppe als bankenunabhängiges Emissionshaus und Assetmanager im Jahr 2009. Unter seiner Führung wuchs der Bereich Projektentwicklung zur zweiten Einkommenssäule der Unternehmensgruppe. Zudem erschloss das ursprünglich auf Windenergie in Deutschland fokussierte Unternehmen weitere windreiche Regionen Europas sowie neue Produktsparten – u.a. die Windenergie und Wasserkraft in Kanada.