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„Tempo beim Ausbau von Wind- und Solarenergie wird anziehen“, BondGuide-Interview mit reconcept-Geschäftsführer Karsten Reetz

1. August 2022

Oft zitiert, aber doch weiterhin angebracht: der berühmte Rückenwind. reconcept profitiert derzeit an allen Fronten, in der Solarenergie in Deutschland bis zur Windenergie in Finnland. BondGuide sprach aus aktuellem Anlass einmal mehr mit Geschäftsführer Karsten Reetz.

BondGuide: Herr Reetz, wir sprachen im Zeitraum der letzten zwölf Monate ja bereits häufiger. Da kann ich gleich mit der Tür ins Haus fallen: Was gibt es Neues im Hause reconcept?
Reetz: Da sind mehrere Punkte zu nennen, die sich sehr positiv entwickelt haben. Unsere Kernmärkte sind neben Wasser- und Gezeitenkraft in Kanada vor allem Solarenergie in Deutschland und Windenergie in Finnland. In Deutschland haben wir unsere Projektentwicklungspipeline in den vergangenen zwölf Monaten um rund 50% und in Finnland um ca. 33% ausgebaut. In Kanada erfolgt derzeit die Stromeinspeisung plangemäß in einem Testgebiet, bevor in der nächsten Projektphase die Plattformen in der Minas Passage der Bay of Fundy eingesetzt werden. Zudem wurden wir vor kurzem zum dritten Mal hintereinander als klimaneutraler Asset Manager zertifiziert.

 

„Auch das Interesse von Stiftungen an nachweislich nachhaltigen Anlageprodukten, wie reconcept sie bietet, steigt.“

BondGuide: Ist letzteres denn irgendwie wichtig oder nur eine Art ‚nice to have‘?
Reetz: Nachhaltigkeit ist für uns seit jeher Auftrag und Selbstverständnis zugleich und daher von besonderer Bedeutung – das belegt auch diese Zertifizierung. Der Klimawandel ist die wohl größte Herausforderung unserer Gesellschaft. Auch hierzulande erleben wir bereits extreme Wetterlagen – Hitze und Dürre auf der einen Seite, Starkregen und Überschwemmungen auf der anderen. Wie wichtig Nachhaltigkeit zudem in unserem Emissionshaus-Geschäft ist, zeigt sich sicher in Kürze verstärkt: Ab dem 2. August 2022 müssen Finanzberater bei der Anlageberatung zwingend die Nachhaltigkeitspräferenzen der Kunden abfragen. Hier kann es zu einem deutlichen Nachfrageanstieg kommen, da wir über die erforderlichen Produkte verfügen. Dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn laut Morningstar[1] erfüllen von 5.000 untersuchten Fonds weniger als 4% das neue Anlagekriterium Artikel 9 der EU-Offenlegungsverordnung. Das kann unser Geschäft nur beleben. Auch das Interesse von Stiftungen an nachweislich nachhaltigen Anlageprodukten, wie reconcept sie bietet, steigt.

BondGuide: Im April sprachen wir über den Windenergiepark Hilpensberg, Nähe Bodensee – immerhin Gegenstand des Green Energy Asset Bond II. Läuft da alles nach Plan und wie ist der Investorenzuspruch bei der Anleihe?
Reetz: Ja, der Windpark ist am Netz und die Performance dank guter Windverhältnisse in diesem Jahr bislang sehr positiv – mindestens im Plan. Und die Strompreise gehen gerade durch die Decke, d.h., die Erträge sind höher als prognostiziert. Auch der Investorenzuspruch entwickelt sich weiterhin erfreulich. Aktuell ist mehr als die Hälfte des Emissionsvolumens platziert.

BondGuide: Wie läuft es denn generell in diesem Jahr mit Wind und Sonne? – angeblich liege die Windstromeinspeisung im ersten Halbjahr rund 5% über Plan, hatte ich irgendwo gelesen. Erzählen Sie uns also gern etwas über das klimatische Jahr 2022 bitte.
Reetz: Dass wir aktuell recht sonnengesegnet sind, merkt ein jeder schon selbst. Solaranlagen liefern sogar bei leicht diffusem Licht noch gut Strom. Bei der Sonne liegen wir in diesem Jahr in Deutschland bisher klar über Durchschnitt. Die Windstromerzeugung an Land ist im ersten Halbjahr 2022 in Deutschland im Vergleich zum windschwachen Vorjahr um rund 20% gestiegen. Insbesondere der Januar und Februar waren windstark. Die Windenergie steuerte damit etwa die Hälfte des gesamten erneuerbaren Stroms bei.

„Die energiepolitische Bremse der vergangenen Jahre ist gelöst.“

BondGuide: Dann war eine der letzten News aus dem Juli, reconcept habe über 3 GW in der Entwicklung. Geht’s denn überall gut voran?
Reetz: Ja, wir sind mit der Entwicklung absolut zufrieden. Unsere Projekte gehen sukzessiv voran und wir konnten unsere Pipeline deutlich ausbauen. Auch die Perspektive bzw. der energiepolitische Rahmen stimmen uns zuversichtlich. Forciert durch das geopolitische Umfeld, also spätestens seit dem Einmarsch von Russland in die Ukraine, sind inzwischen vielleicht auch die letzten Skeptiker von der Notwendigkeit schneller und massiver Investitionen in dem Bereich der Erneuerbaren Energien überzeugt worden. Das Tempo beim Ausbau von Wind- und Solarenergie wird anziehen. Die energiepolitische Bremse der vergangenen Jahre ist gelöst.

BondGuide: Gut, sprechen wir über mögliche Zeitdiebe – also Sachen, die den notwendigen Ausbau eben zu verzögern vermögen. Sind das plötzlich gefundene Horste von Rot-Milanen, Etrusker-Baustätten, Indianer-Friedhöfen oder WW2-Munitionen?
Reetz: In der Projektierung in Deutschland war das Hauptproblem Nummer 1 zunächst, dass Gemeinden überhaupt geeignete Flächen zur Verfügung stellen. Das wird sich nun dank des jüngst verabschiedeten Osterpakets ändern. Gemäß neuem Windenergieflächenbedarfsgesetz müssen bundesweit 2% der Flächen als windkraftgeeignet auswiesen werden.

„Solar- und Windkraft gerne, aber nicht auf Kosten von Flora und Fauna.“

Weiterhin beschäftigen uns natürlich auch Anforderungen an den Naturschutz. Während seltene Zauneidechsen oder andere Bodentiere erfolgreich umgesiedelt werden können, lassen sich Brutvögel wie der Rot-Milan nicht von A nach B verbringen. Flora und Fauna müssen daher im Vorfeld genau begutachtet werden, um nicht doch noch spät nach Projektanlauf überrascht zu werden. Dass hier jetzt standardisierte Naturschutzprüfungen eingeführt werden sollen, begrüßen wir sehr. Grundsätzlich bin ich dabei vollständig auf Gemeinkonsens: Solar- und Windkraft gerne, aber nicht auf Kosten von Flora und Fauna.

BondGuide: Bei Solar gibt es aber ebenfalls gewisse Einschränkungen. Wie kompliziert sind diese?
Reetz: Hier gilt die Regel: Landwirtschaftliche Flächen genießen Vorrang. Für Solarflächen dürfen nur solche verwendet werden, die nicht anderweitig landwirtschaftlich genutzt werden könnten. Solarflächen dürfen also nicht Mais- oder Weizenanbau stören, sofern dieser möglich ist.

BondGuide: Interessant ist ja auch das Gezeitenkraftwerk in der Bay of Fundy, Kanada. Für Nicht-Insider: Wie schwierig ist solch ein Bau und läuft dort alles nach Plan?
Reetz: Der Bau der Gezeitenplattform selbst ist keine Raketenwissenschaft. Technologisch herausfordernd war es im Vorwege, ein verlässliches Zusammenspiel von Turbine und Kraftwerkskonstruktion zu schaffen, das den gewaltigen Kräften der Tidenströmungen in der Bay of Fundy standhält. Zudem müssen wir auf mögliche Beeinträchtigungen der Umwelt achten, zumal diese Technologie noch relativ jung ist. So wird beispielsweise von den Behörden ein mindestens zwölf Monate umfassendes Monitoring zum Einfluss auf die marine Fauna erwartet. Da geht es um Haie, Wale und – in Kanada – natürlich auch um den Lachs sowie bei allen diesen Tieren um ihre Wanderungen im gesamten Jahresverlauf. Die aktuellen Ergebnisse zeigen, dass die Meerestiere die Anlage wie erhofft umschwimmen.

„Am Gezeitenkraftwerk in Kanada finde ich spannend, noch einmal eine neue umweltfreundliche Innovation in der Umsetzung zu sehen.“

BondGuide: Eine Frage außerhalb der Reihe: Welches Ihrer diversen Projekte würden Sie als Ihre aktuelle ‚Hauptbaustelle‘ adeln mögen – gibt es da so etwas wie ein Lieblingsprojekt ihrerseits?
Reetz: Ehrlich gesagt nein. In den drei Fokusmärkten, über die wir gerade gesprochen haben, hebe ich kein einzelnes Projekt besonders hervor – die sind allesamt wichtig für uns. An der Solarenergie in Deutschland gefällt mir, dass sie schnell umgesetzt werden kann, deutlich rascher als bei Wind. Am Gezeitenkraftwerk in Kanada wiederum finde ich spannend, noch einmal eine neue umweltfreundliche Innovation in der Umsetzung zu sehen. Und in Finnland liegt unser größtes Potenzial beim Wind, da bestehen unsere wertvollsten Assets. Jeder dieser drei Fokusmärkte hat also etwas Spezielles und Spannendes.

Karsten Reetz, reconcept GmbH

BondGuide: Zum Abschluss: Wie empfinden Sie die aktuelle Diskussion um Atom und Kohle in Deutschland – hätten Sie gedacht, dass ein grüner Umwelt- und Wirtschaftsminister je solche Entscheidungen würde treffen müssen, wie sie uns ggf. bevorstehen?
Reetz: Nein, das hätte ich noch vor einem halben Jahr niemals für möglich gehalten. Ich persönlich finde die Reaktivierung von Kohlekraftwerken und Atomkraft fürchterlich und rückwärtsgewandt. Grundsätzlich empfinde ich die Diskussion als unangemessen, wenn wir unseren Wohlstand mit der prekären Lage in der Ukraine vergleichen. Die Ukrainer kämpfen seit Ende Februar um ihr Leben, während wir auf hohem Niveau über Sprit- und Energiepreise jammern. Sollten wir im kommenden Winter letztlich ein oder zwei Grad weniger heizen können und auch sonst hier und dort den Gürtel mal etwas enger schnallen müssen, dann empfinde ich diesen Einschnitt nicht als zu hoch.

BondGuide: Herr Reetz, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und das tolle Update-Gespräch zur reconcept !

Interview: Falko Bozicevic